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Lausitzer Rundschau, 19.03.2011
Das Ei, die Sorben und die Kunst

Man besorge eine größere Ladung Eier von einer Straußenfarm und beauftrage ortsansässige Künstler, sich dazu etwas einfallen zu lassen. Das muß man dann bei manchem erstmal setzen lassen. Herausgekommen ist eine der spektakulärsten Ausstellungen dieses Frühjahrs: art Ei.
Das Osterfeuer ist ein von lodernden Flammen umzüngeltes Ei in einer Laterne. Ein kühner Sprung auf dem feuerroten Ei der Sorbin Maja Nagel, nicht minder kühn schuf Dietrich Lusici auf Ei einen Akt, aber selbst da setzt noch jemand eins drauf: die Bildhauerin Barbara Wiesner mit der „Geburt des Eies“, einer Installation mit Gebärhocker und gewaltiger Symbolik.
Zwischen Dioxinskandal und Tradition stand Christina Kliem, die Leiterin des Wendischen Museums in Cottbus, vor der Aufgabe, das Ei rechtzeitig zu Ostern ins Licht zu rücken. Alle Jahre wieder: „Die Osterausstellung ist Pflicht, nun sucht man also den besonderen Akzent. Also hab ich Straußeneier besorgt, damit mehr Platz ist, und sie den unterschiedlichsten Künstlern in die Hand gedrückt.“ Keine Themenvorgabe, nur die weiße Kalkschale, das ließ manchen der Kreativen erstmal zögern. Am Ende mussten sogar Eier nachgeordert werden. Ganz offenkundig gibt es nichts, was nicht geht – mit dem Ei.

Goethes Osterspaziergang in kunstvollen Lettern auf Obersorbisch. Eine „ViecherEi“ wird kurzerhand in den Käfig gesperrt und der Schweizer Bildhauer Jo Achermann von der BTU verlegt seine charakteristischen Balkenkonstruktionen ungewohnt filigran in die Zweidimensionalität. Das Ei-gentümlichste Werk überhaupt ist die Arbeit der Architektin und Künstlerin Katrin Günther: Sie hat zu ihren „Taucherhäusern“ noch einen kompletten Überbau erfunden, die Geschichte der zwei-eiigen Zwillinge Sigmund und Horst und ihrer Taucherhäuser: „Es gab zwei Eier. Daraus baut man natürlich etwas, was zusammenhängt: Brüder. Die erste Assoziation der Form führte zur Taucherglocke. Teiche, Peitz, Karpfen, Taucher. Das lag nahe.“ Ah ja. Katrin Günthers Spinnerei folgt wissenschaftlichem Kalkül: An ihrem BTU Lehrstuhl für Plastisches Gestalten benutzt man bewußt ungewöhnliche Strukturen, die eigentlich nicht ins wissenschaftliche Arbeitsfeld gehören, um zu experimentieren. „Meist entsteht erst im losgelassenen Arbeiten das Besondere. Die Perspektive wechselt – und das ist ausgesprochen fruchtbar.“ Das muss den meisten der Künstler hier so gegangen sein. Die Arbeiten jenseits weißer Leinwände und gewohnter Materialien muss ihnen unbändigen Spaß gemacht haben. So hatte ausgerechnet der Holzbildhauer Hans Georg Wagner mit dem Material zu kämpfen: „Holz beherrsche ich inzwischen. Aber mit den Straußeneiern hab ich wirklich gekämpft. Die Schale ist so glatt, dass im Normalzustand darauf nicht mal ein Permanentmarker hält.“ Wagners Sieg über das Material trägt den Titel „Yin und Yang“. Und das erwachsene Auge täuscht sich nicht, es sind in der Tat kleine Spermien, die er da aufs Ei gemalt hat: Immerhin geht es beim Ei ja lange vor Nährwert und Form um das Symbol für Leben und Fruchtbarkeit. Nicht zufällig kam kein Volk je auf die Idee, Schnitzel zu verzieren. „Der sorbische Brauch will, dass das Ei verziert und an die Patenkinder verschenkt wird. Diese Volkskunst wird immer weiter perfektioniert. Heute werden die Objekte ausgeblasen, weil man die einfach nicht mehr zerstören will, indem man sie aufisst“, erklärt Christina Kliem und hat auch der Tradition natürlich ihren Platz eingeräumt: Hühner, Gänse und Emus gaben ihr Bestes, um zu Kunstwerken der Wachs-, Kratz- und Ätztechnik zu werden. Auch der Grafiker Meinhard Bärmich gesteht, zu Ostern gelegentlich mit Ei und Wachs gekämpft zu haben: „Das Format einer Papierseite kenne ich im Schlaf. Ein Ei hat keinen Anfang und kein Ende.“ Da hat es schon wieder eine beinahe philosophische Komponente, das Ei. Die Motive der Sorben in der Handschrift des Formen-und-Farben-Spielmannes Bärmich . . . das ist eine fruchtbare Verbindung geworden, was Bärmich nur folgerichtig findet: „Das Erste auf der Welt war das Ei, nehm ich an. Dann kam das Huhn – und dann der Künstler!“

Von Sylvia Belka-Lorenz

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