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Lausitzer Rundschau 07.07.2007
STREIFZÜGE DURCH LAUSITZER KÜNSTLERATELIERS (2): ZU GAST BEI MEINHARD BÄRMICH IN COTTBUS
Der Heilige im Bordell
Wie leben und arbeiten Lausitzer Künstler« Wie spiegeln sich ihre Persönlichkeit und ihr Alltag in ihren Werken» Um das herauszufinden, besucht die RUNDSCHAU interessante, namhafte und originelle Vertreter der Kunstszene der Region. Die Streifzüge durch die Ateliers erscheinen in loser Folge. Heute sind wir zu Gast beim Maler und Grafik-Designer Meinhard Bärmich in Cottbus-Ströbitz.
Seine Markenzeichen sind Humor und Bart: Meinhard Bärmich in seinem Cottbuser Atelier.
Foto: Michael Helbig
Meinhard Bärmich mit dem Rauschebart und den warmherzig-wahnsinnigen Augen. Der Mann, der vertrackt-humorvolle Plakate malt und Tiercomics wie aus einem drogengeschwängerten Kinderprogramm. Worüber redet so jemand als Erstes« Über Gott!

Der Künstler erzählt mit nasaler Stimme. Er war kürzlich auf dem evangelischen Kirchentag in Köln. Bärmich ging allerdings auch in die katholische Messe. «Da könnte man fast heilig werden» , schwärmt er vom Gottesdienst im weihrauchdurchfluteten Dom. Das Bad in der Masse der Gläubigen hat ihn ebenfalls ergriffen. «Alle sind da und keiner tut einem weh.» Wieder möchte er «fast heilig werden oder sagen wir lieber gläubig» .

Zwischen Kirche und FDJ

Ein Gottsucher im Cottbuser Vorortsmietshaus – das hat der Besucher von der Zeitung nicht erwartet. Meinhard Bärmich, geboren 1952 in Welzow (Kreis Spree-Neiße), wurde religiöse Ehrfurcht in die Wiege gelegt. Freilich nur in deren eine Betthälfte. Die Mutter war katholisch, der Vater das Gegenteil: atheistisch-sozialistisch-orthodox.

Beide einte, berichtet der Sohn, dass sie ehrenhafte Leute waren, das Beste für die Menschen wollten. Sie, die Kindergärtnerin, engagierte sich in der Kirchengemeinde und im Frauenbund. Er, der Dispatcher im Tagebau, war in der Kampfgruppe, der Gewerkschaft und der Partei aktiv. So wuchs der junge Meinhard Bärmich eingesponnen in das Netz der Gemeinschaft auf – mit doppelter Loyalität. Taufen ließ er sich nicht, um den Vater nicht zu kränken, nahm aber am Gemeindeleben teil, war außerdem Mitglied der Pioniere und der FDJ. «Es hat mir nicht geschadet.»

Manche Blessur hat Bärmich im Kollektiv jedoch sicherlich davongetragen. Der Einzelne und die Gesellschaft, der Umgang von Menschen miteinander

sind große Themen seines Werks. Auf einem preisgekrönten Plakat für die Neue Bühne Senftenberg rammen sich Heinrich der Fünfte und sein Widersacher gegenseitig ihre Nasen durch den Schädel, auf einem anderen belauern sich die Geschlechtsteile von Paul und Paula wie fleischfressende Pflanzen. Eine Malerei zeigt Don Quichotte und Sancho Pansa als tapfer-schrulliges Gespann, das sich vor einer gaffenden Menge zum Affen macht. Harmlos und ohne Tücke geht es nie zu, wenn Meinhard Bärmich Menschliches und Allzumenschliches darstellt. Nur unter Tieren herrscht bei ihm reiner Frieden.

«Ich habe Angst vor dummen Menschen» , sagt er. «Da gehe ich lieber weg, als dass ich mich mit denen schlage.» Pöbeleien wegen seiner Barttracht sind dem Künstler nicht fremd. Manche mögen ihn für einen Wirrkopf halten, wenn er den Einkaufsbummel durch Ströbitz für Trimm-Dich-Einlagen nutzt. Ein Außenseiter» Bärmich sagt, er fühle sich wohl in menschlicher Gemeinschaft, nur hin und wieder müsse er sie abschütteln, wie ein Hund das Wasser aus seinem Fell.

Mit seiner Familie bewohnt der Lausitzer ein Häuschen in Drachhausen (Kreis Spree-Neiße). Die künstlerische Arbeit findet in seiner Ströbitzer «Junggesellenbude» statt. Das schmale Atelier ist voll von Bildern, gerahmt an der Wand oder in Nischen ordentlich aufgereiht.

Zu gut für diese Welt«

Wenn Meinhard Bärmich eine neue Arbeit beginnt, hat er Hemmungen, die «Unschuld» des weißen Papiers zu beflecken. Ist dieser Künstler zu zartfühlend, zu heilig für diese Welt» Zu DDR-Zeiten eckte er an, kam morgens zu spät zur Arbeit bei der staatlichen Werbeagentur Dewag, schmiss den dortigen Job als Gebrauchsgrafiker wegen zu viel Bevormundung. Einmal übernachtete er nach einem Zechgelage in einem Cottbuser Hotel (das war für Einheimische verboten!) und biss bei der Festnahme einem Polizisten in den Finger. In Bärmichs Stasi-Akte ist zu lesen, wie das MfS schnell aufgab, den Künstler als Zuträger zu werben. Er sei nicht geeignet für diese Aufgabe, zog sich der Angesprochene aus der Affäre.

Unangepasst: ja. Ein Rebell: nein. Bärmichs Illustrationen für Institutionen der sozialistischen Gesellschaft enthalten braven Humor. Auch heute ist der Grafiker in erster Linie Dienstleister. Selbst anrüchige Kunden sind mitunter willkommen. Vor Jahren dekorierte Meinhard Bärmich das Interieur eines Cottbuser Bordells mit einer erotischen Zeichnung. «Ich brauchte das Geld» , erzählt er. Sein Wandbild, das die Tiefgarage der Cottbuser Arbeitsagentur schmückt, sieht freilich nur auf den ersten Blick aus wie eine heiter-beschönigende Inszenierung dieser Behörde. Die Joblosen irren durch das Labyrinth der Bürokratie. Der Apparat bügelt sie platt.

Bescheiden und stolz

Meinhard Bärmich wollte sich nie glattmachen lassen. Anfang 1989, damals als Alleinstehender, setzte er sich bei einer Westreise in die Niederlande ab. Auslöser sei eine persönliche Krise gewesen, nicht so sehr Verdruss über das SED-Regime. Jenseits des Eisernen Vorhangs verteidigte der Flüchtling die Ideale des Sozialismus. Er hatte Gewissensbisse, weil er für die Genossen im Osten ein paar Arbeiten nicht mehr fertigstellen konnte. Und Heimweh!

«Gott hat mein Gebet erhört» , berichtet Meinhard Bärmich. Wenig später fiel die Mauer, der Künstler konnte in die Lausitz zurückkehren. Dort wurde er freundlich wieder aufgenommen – selbst von den örtlichen Funktionären. «Das waren ja auch nur Menschen.»

Jetzt zürnt Bärmich über den Charakterwandel, den viele DDR-Bürger nach der Wende durchgemacht hätten. Früher habe es Nachbarschaftssolidarität gegeben. Man konnte die Haustür offen stehen lassen und sich Autos ausborgen. «Nun hat der Mob oft die Oberhand. Gier und Korruption herrschen. Vielleicht waren sie unter der Oberfläche vorher schon vorhanden.»

Meinhard Bärmich wirkt freundlich, bescheiden, demütig, fast naiv. Doch hinter diesen Eigenschaften stecken Stolz und Eigensinn. Er war zu stolz, sich um Bananen anzustellen, als die Konsumwelt ihre Verlockungen ausbreitete. Zu stolz zum Klinkenputzen für künstlerische Aufträge. Glücklicherweise trudeln diese – von der Gestaltung eines Firmenlogos bis zur Fassadenmalerei – in der Regel von selbst ein, sagt Bärmich. Schon als Kind hätten ihm Mitschüler Geld für seine Micky-Maus-Zeichnungen geboten. «Da habe ich gesehen, dass man als Freischaffender überleben kann.»

Diese Unabhängigkeit gibt ihm die Fähigkeit, sich die Zumutungen der Gesellschaft von Zeit zu Zeit aus dem Fell zu schütteln.

Felix Krömer

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